MARINA MENTONI



Marina Mentoni ist in Treia (Italien) geboren. Lebt und arbeitet in Macerata. Ihr Diplom als Malerin erwarb sie 1981 an der Accademia di Belle Arti als Schülerin des angesehenen italienischen Malers Magdalo Mussio.

Für das Verständnis ihres Werks ist es bedeutsam zu wissen, dass sie sich anfänglich, während etwa sechs Jahren mit Restauration beschäftigte und anschliessend Dozentin für Maltechnik an der Accademia wurde. lhre Kunst zeichnet sich durch grosse Strenge in der Recherche und der Methode aus und lässt in allen Schaffensphasen eine tiefgreifende kritische Distanz der Künstlerin zum eigenen Werk erkennen.

Im Vergleich zur Malerei der 80-er Jahre entdecken wir bei Marina Mentoni vor allem eine grosse Freude am Schaffen selbst und einen Tatendrang, der ihre Arbeiten fernab von manieristischen oder zitathaften Tendenzen rückt. Sie orientiert sich weniger an einem postmodernen Konzept, als vielmehr an einer Art neuer Moderne; diese aber nicht im Sinne eines stilistischen Revivals, sondern als selbstkritisches Bewusstsein, das auf den eigenen kulturellen Ursprung und Bildungshintergrund verweist und ihr eine eigene künstlerische ldentitätsfindung ohne Rückgriffe ermöglicht. Die Abstraktion in ihren Arbeiten ist als Konsequenz einer präzisen Haltung gegenüber der Geschichte zu verstehen. Wohlüberlegte Bezugspunkte bilden aber auch ihre Erfahrungen mit den rationalen Werken der Malerei der 60-er Jahre, etwa mit Künstlern wie Ad Reinhardt, aber auch zur kalten, radikalen Abstraktion des amerikanischen Minimalismus und gewisser Strömungen der italienischen Malerei der 70-er Jahre, die einen analytischen, auf sich selbst bezogenen Ansatz in sich trugen.

Dennoch bewahrt sich Marina Mentoni im Vergleich dazu in ihrer Tätigkeit stets auch die Komplexität eines Spiegelbilds ihrer eigenen Zeit und lässt sich nicht auf bereits bekannte Ansätze fixieren. Ihre Arbeit entspricht auch nicht einer auf sich selber bezogenen, weltfremden Verselbständigung, wie sie fälschlicherweise aus gewissen konzeptionellen oder analytischen Ansätzen herausgelesen werden könnte. Der Ansatz der Fragestellung, welche die Morphologie des Werkes erkennen lässt, verweist auf die aktuellen Spannungen unserer Gegenwart und auf ein klares Bewusstsein einer Krise der Existenz, die sich auch in der Kunst äussert. Genau in dieser Beziehung überwindet Mentonis Schaffen die Perspektive einer persönlichen Schutzhülle der eigenen künstlerischen Wahrnehmung und ldentität. Sie stellt die Kunst in den
erweiterten Horizont einer Verteidigung gegen das Zeitalter der virtuellen Kommunikation und hält diesem eine Strategie des Widerstands entgegen, die sich auf eine Zustimmung zu den ästhetischen und gefühlsbezogenen Werten beruft. An dieser Schwelle, erhält die Malerei eine Komplexität, die sich nie auf Parameter der Logik oder der Technik allein zurückführen liesse.

Ende der 80-er und Anfang der 90-er Jahre entstanden Werke mit verschobenen Geometrien. Werke mit Unterbrüchen und Ausschlüssen, erzeugt durch Variation von Farbtönen und der Behandlung von Oberflächen, die ein dynamisches Spiel einer wechselhaften Wahrnehmung von Leer und Voll, Innen und Aussen und Licht und Schatten in Gang setzten. Der Raum enthielt damals noch eine sichtbare Komponente illusionistischer Projektion. Durch die Überlagerung verschiedener Ebenen, durch Spiegelung und Multiplikation, aber auch durch Bejahung und gleichzeitiger Negierung entstanden Arbeiten mit irritirenden Geometrien, stets nahe am Ausrutschen. Durch diese ständige Suche nach einem Gleichgewicht, das sich stets wieder aufhebt, schuf die Künstlerin Orte des Provisorischen, des Unsicheren, des Fragmenthaften. In dieser Hinsicht bestätigt sich die Feststellung der „unumgänglichen Labilität der Wahrnehmung und der extremen Unschärfe der Erkenntnis“. Die Mittel, mit denen wir uns der Wirklichkeit annähern sind provisorisch und dieses Provisorische ist unabdingbare Voraussetzung der Existenz.

Ca. 1993 beginnt für Marina Mentoni eine neue Schaffenphase, die noch nicht abgeschlossen ist. Die Gewichtung eines analytischen Ansatzes führt zu einer formalen Vereinfachung und zur Reduktion auf das essentielle Vokabular der Malerei. Alles Dynamische und räumlich-Formale wird eliminiert. Die Künstlerin konzentriert ihr Augenmerk auf die Spannung im Grenzbereich zwischen Bejahung und Negation, auf
die Mikrostruktur des Malens selbst. Wenn jeder Rest des illusionistischen Raums einmal verschwunden ist, werden die Bildtafeln selbst zu extemen Makrostrukturen indem sie mit dem Bild zusammenfallen, der Bild-Träger wird zum Teil der Malerei. Form und Raum verschmelzen und das Gemälde wird Gegenstand einfachen Zusammenfügens von Tafeln zu Diptychonen, mehrteiligen Werken oder grösserer modularer Kompositionen. Eine minimalstische Radikalität wird von nun an klar erkennbar, vor allem in dieser Art der Werkkomposition aus modularen Teilen. Dennoch hat das wenig mit minimalistischer serieller Repetition zu tun. Es ist vielmehr eine architektonische Annäherung an den Raum mit klaren mathematischen Massen nach der Tradition der Renaissance. lm Bestreben zur Minimierung ist auch die Reduktion auf
eine eingeengte Farbskala von Grau, Rot und Elfenben zu sehen. Es entstehen einige zweifarbige Dyptichone, aber auch reine Monochromien, wo, wie in den letzten Arbeiten, die Feinabstufungen der Farbtöne in allen möglichen Beziehungen durchgespielt werden. Sie können verstanden werden als eine Art Repertoir oder Musterbuch der Sprache der Malerei, wie das besonders deutlich in einer neuen grösseren, mehrfarbigen Komposition erkennbar wird. Hier zeigt sich eine Art von sprachlicher Ubereinkunft oder eine Art Syntax als Ritual in doppelter Hinsicht: Es ist nicht nur die Logik der Malerei, die sich in ihren grundlegenden konstitutiven Komponenten widerspiegelt, sondern in gewissermassen linguistischer Hinsicht auch eine Art von Versuch zur Definition einer eigenen Sprache und Grammatik.

Die Reflexion über die eigene Arbeit bestätigt sich in einem neuesten Werk aus papierbezogener Leinwand: Die durchscheinenden Seidenpapiere lassen als positivnegativ-Effekt nur noch die Abdrücke der malerischen Textur erkennen, die in den vorangehenden Arbeiten aus Graphit auf Tafeln mit exzessivem Farbauftrag erschienen. Schatten nur noch der Malerei, die stellvertretend für die Zeit des Malprozesses stehen. Die sichtbare Problematik zwischen Form und Raum, die in früheren Arbeiten auf die Wechselwirkung abstellte, die sich durch das vom Auge Wahrgenommene und das vom Geist Konstruierte ergab, wird ersetzt durch das Interesse an der Art, wie das Bild aufgebaut wird und wie der Malprozess abläuft. Der Wahrnehmungseffekt basiert nicht mehr auf der geometrischen lrritation, sondem auf der langsameren und stärker verdichteten Art, nach welcher sich die einzelnen Tafeln in ihrer Tonalität aufbauen und unterscheiden. Dennoch werden solche analytischen Absichten nie zum Selbstzweck und sie erschöpfen sich auch nicht in der Analyse der Mittel und der Prozeduren oder in den einfachen optischen Spielen vieler Malereien aus den 60-er und 70-er Jahren. Auch wenn alles klar, rational, geplant, explizit, also quasi erklärend ist, wie in den jüngsten Arbeiten, bleibt dennoch immer eine Komplexität erhalten; eine Spannung, die sich der Verdrängung der Bedeutung durch das Operative entgegenstellt, Der Logik der Reduktion, die sich in der konstruktiven Einfachheit des Werkes durch die Wiederholung modularer Teile äussert, oder in der Absicht die Malerei in der Grundsätzlichkeit ihrer operativen Faktoren zu verstehen, stellt sich auch in dieser Phase in Wirklichkeit eine geduldige Beharrlichkeit entgegen. Eine langsame, arbeitsintensive Tätigkeit mit all ihren Nebenbereichen, fernab von den Aspekten industrieller Serienproduktion, aber auch von der kalten Konzeptualiät einer Projektkunst und letztlich auch von der absoluten Selbstgenügsamkeit der Geometrie eines bestimmten Minimalismus im amerikanischen Sinne.

Mentonis Reduktion ist nicht vorweggenommen, wie auch ihr Minimalismus nichts Revivalhaftes an sich hat. Am Ziel eines langen Wegs der emsthaften Auseinandersetzung mit den Problemen des Malens oder der künstlerischen Tätigkeit in unserer Zeit schlechthin, vereinen beide in sich die Suche nach einem noch betretbaren Ort am Ende der Geschichte und der Erinnenrng, nachdem alle Wege der Wiederholung und der Rückbesinnung auf die Vergangenheit ausgeschöpft sind. Für Mentoni bedeutet die radikale Art, sich einem solchen Prozess auszusetzen, der an die Grenze zu einer Malerei ohne Geste und quasi zur Selbstauflösung führt, nun nicht die eigene Zugehörigkeit zu einer Tendenz, sondem soviel wie eine Antwort auf ein tieferes inneres Bedürfnis, das mit einem kritischen Bewusstsein von Kunst zu tun hat , das ihr eigenes Schicksal und jenes der Erneuerung in der Kunst in Frage stellt. Deswegen hinterfragt die Künstlerin ein Bestreben, das sich in einer absoluten Ordnung äussert und nimmt eine Haltung ein, die nicht nur analytisch oder konzeptionellminimalistisch, sondern eigentlich philosophisch ist, indem sie den letzten Sinn und das Wesen der Malerei in der einfachen Idee des Ausführens findet, in ihren operativen Materialkomponenten, d.h. in ihrer Stofflichkeit und gegenständlichen Wirklichkeit und in der Reinheit der reduzierten Erscheinung als geduldiger Auftrag von Pigmenten in dünnen Lagen. Hier konzentriert sich die mentale und materielle Energie eines Werkes, dessen Spuren restlos in der Oberfläche des Bildträgers aufgehen.
Sie verbirgt sich in den Falten und Rillen und im Schichtauftrag, verwesentlicht durch den langsamen Prozess der Materialisierung in Gips, Leim, Wachs und der endlosen Oberflächenbehandlung im Sinne einer Ergänzung oder Vollendung. Der Charakter ihrer Tätigkeit bezeichnet eine Idee von Absenz und Leere. Wenn sich der Sinn ihrer früheren Arbeiten in der fehlenden Sicherheit irritierender und ständig verschobener Gleichgewichte äusserte und den Ansatz der Idee sichtbar werden liess, fehlt nun jegliche ikonische Komponente. Es geht bei der Erscheinung um mehr als um das blosse Darstellen, es geht um eine neue und substanziellere Einordnung der Malerei zwischen Unmöglichkeit und Möglichkeit, im Spannungsfeld sich widersprechender Begriffe wie Negation und gleichzeitiger Bejahung, eine Morphologie des Werkes im Spiele der Gegenwärtigkeit und der gleichzeitigen Absenz.

Einer Malerei, die alles Zeichenhalte negiert und sich zum unausgesprochenen und nicht wahmehmbaren Prozess macht, werden arbeitsintensive und Geduld heischende Vorbereitungsarbeiten nach dem Muster antiker und traditioneller Techniken entgegengesetzt. Das Ergebnis, auch in ihrer Farbqualität und ihren feinen tonalen Abstufungen leitet sich demnach letztlich von einer Serie von indirekten Vorbe reitungen, Materialbehandlungen und Oberflächenbearbeitungen ab. Die Farbe verliert dabei ihre natürliche Wertigkeit und wird dermiassen abstrakt und mental, dass sie selber zum Bestandteil der Malerei wird. Das Einfügen kleinster Gesten und Zeichen, kaum wahrnehmbare Spuren, kurze Akzente und Vibrationen und Indizien energetischer Anfänge gehen unverzüglich in einem Ritual der Stille auf, welches das Werk zwischen Anfang und Ende auf eine Art einbindet, die die Malerei negiert um sie gleichzeitig zu bejahen.

Es ist nicht möglich, nun einfach zu behaupten, diese Arbeiten würden im Wesentlichen als Wahrzeichen einer Leere und einer Ablehnung erscheinen, denn sie laden sich gleichzeitig mit einer impliziten Spannung auf, die eine Erwartungshaltung wekken, die sich auf etwas Verstecktes, Zukünftiges ausrichtet, das noch nicht erkennbar ist. Diese Haltung führt zur Uberwindung ihrer Ursprünge in der radikalen Abstraktion nach Rayman und der rationalen, projektbezogenen Analytik eines Ad Reinhardt, auch wenn diese beiden die wohl nächsten Referenzpunkte in Mentonis Schaffen bleiben. In ihrem langsamen Sich-Vorantasten und der fast leidenschaftlichen Ausübung der erwähnten Vorbereitungsarbeiten, die selber schon Malerei sind, schafft sie sich eine Art von Schutzhülle, die ihren Werken in der Keimphase, im Entstehungsstadium den nötigen Bestand geben. In diesem Zustand zwischen Negation und Affirmation und in der radikalen Hinterfragung, die den Sinn des Ganzen erst begründet, verpufft auch die Frage nach dem Kurzschluss zwischen Tradition und Avantgarde. Mentoni durchläuft geistig und operativ eine ganze Kulturgeschichte, die Vergangenheit und Gegenwart verbindet. Einerseits führt sie die Malerei zurück zu ihren Wurzeln, zur weit zurück liegenden italienischen Tradition der mittelalterilichen Tafelmalerei, aber auch zum mathematisch modularen Mass der Renaissance, anderseits projeziert sie sie in die radikalen Formen der minimalistisohen Avantgarde der 60-er und 70-er Jahre. Daraus entsteht eine widersprüchliche Verbindung, aufgeladen mit Anspielungen und Fragen nach dem Sinn. Sie bringt damit aber auch eine kulturelle Tiefe ins Spiel, die uns zu einem Bewusstsein der Gegenwart zurückführt, in der so Vieles unbeantwortet bleibt.

Marina Mentoni findet auf ihrer Suche nach dem Wesen der Malerei in ihrer Art des Reduzierens und beharrlichen Vorgehens auf ihrer Fährte eine Antwort in ihrer faktischen Vernunft und in der Beschaffenheit der Objektstruiktur. Es ist möglich, dass dabei eine existentielle Leere und Absenz aufscheint, die Absicht und Ziel ist, aber auf des Messers Schneide kann sich alles auch wenden und die Malerei an einen Punkt des Neubeginns und der Wiedegeburt zurückwerfen . ln der Bekräftigung ihrer Nicht-Malerei in ihrer starken objekthaften Präsenz lässt Marina Mentoni einen tiefgehenden kommunikativen Willen und ein Verlangen erkennen, das über die Erfahrung der Gegenwart und die fundamentalen existentiellen Fragen unserer Zeit hinausweist. 



Manuela Zanelli

Aus dem italienischen: Max Germann

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